
Netanjahu will Hungersnot in Gazastreifen auch "aus diplomatischen Gründen" verhindern

Inmitten der Ausweitung der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen hat der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu betont, eine Hungersnot müsse dort auch "aus diplomatischen Gründen" verhindert werden. "Wir dürfen die Bevölkerung nicht im Hunger versinken lassen, sowohl aus praktischen als auch aus diplomatischen Gründen", sagte Netanjahu am Montag in einem Video im Onlinedienst Telegram. Zugleich erklärte Netanjahu, Israel werde Kontrolle über "das gesamte Territorium" des Gazastreifens übernehmen.
Netanjahus Büro hatte am Sonntag angekündigt, dass Israel wieder Hilfslieferungen zulassen werde. Die Einfuhr einer "Grundmenge an Lebensmitteln" solle sicherstellen, "dass sich keine Hungersnot im Gazastreifen entwickelt", hieß es in einer Mitteilung. Am Montag sagte Netanjahu, dass selbst die Freunde Israels die "Bilder vom Massenhunger" nicht tolerieren würden.
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Adhanom Ghebreyesus kritisierte am Montag die humanitäre Lage im Gazastreifen: "Zwei Millionen Menschen hungern", während "Tonnen von Essen an der Grenze blockiert werden, nur Minuten entfernt". Das Risiko einer Hungersnot in Gaza steige durch das "absichtliche Zurückhalten" humanitärer Hilfe.
Das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (Ocha) erklärte, Gespräche zur Wiederaufnahme von Hilfslieferungen in das paläsinensische Gebiet zu führen. "Wir wurden von den israelischen Behörden angesprochen, um beschränkte Hilfslieferungen wieder aufzunehmen". Die Organisation sei mit Israel in Gesprächen dazu, "wie das unter den gegebenen Umständen möglich sei", teilte Ocha mit.
Israel hatte seine massiven Angriffe im Gazastreifen Mitte März nach einer zweimonatigen Waffenruhe wieder aufgenommen. Seit Anfang März blockierte Israel zudem die humanitären Hilfslieferungen für den Gazastreifen.
Am Sonntag hatte Israel erklärt, "umfassende Bodeneinsätze" im gesamten Gazastreifen begonnen zu haben. Die Einsätze am Boden seien Teil einer neuen, verstärkten Offensive, deren Ziel die Zerschlagung der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas ist.
Die Kämpfe seien "intensiv" und "wir machen Fortschritte", sagte Netanjahu am Montag auf Telegram. "Wir geben nicht nach. Aber um Erfolg zu haben, müssen wir so handeln, dass man uns nicht aufhalten kann", sagte Netanjahu.
Die israelische Armee erklärte, sie sei in dem gesamten Küstenstreifen im Einsatz. Bei israelischen Luftangriffen wurden nach Angaben von palästinensischen Rettungskräften am Montag mindestens 52 Menschen getötet, unter anderem in Chan Junis im Süden des palästinensischen Gebiets. Die israelische Armee rief die Bewohner des südlichen Gazastreifens zur sofortigen Evakuierung des Gebiets auf.
Die Außenministerin Schwedens, das seit 2014 einen Palästinenserstaat anerkennt, verurteilte den israelischen Plan, die "Kontrolle" über den Gazastreifen zu übernehmen. "Wenn dies Annexion bedeutet, ist es gegen das Völkerrecht", sagte Maria Malmer Stenergard. Schweden halte an seiner Auffassung fest, dass der Gazastreifen nicht verändert oder verkleindert werden dürfe.
Der Gazakrieg war durch den Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben rund 1200 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden waren.
Als Reaktion auf den Hamas-Überfall geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang mehr als 53.480 Menschen getötet.
G. Pires--JDB